Wie alles began…

Vladimir wollte seinen Sandsack verkaufen. Auf e-bay Kleinanzeigen. Der gehört jetzt mir. Für‘n 10er. Irgendwie muss man sich ja doch vorbereiten für Hyrox… und einen Medizinball brauchte ich noch. Gefordert sind 6 kg, also 7kg auswählen und den Postboten nett anlächeln.

Burpees kann man überall üben. Kettle Bell Farmers Carry mach‘ ich bei 4 Teenies im Haushalt jeden Tag mit den Einkaufstüten. Rudermaschine und Ski-Ergometer gibt’s in der Crossfit Box in Neu Wulmstorf, wo ich sowieso 1x in der Woche bin. Nur die Sache mit dem Gewichts-Schlitten macht mir Sorge. 125kg plus 30kg Eigengewicht des Schlittens müssen bewegt werden.

Das ist leider so viel, dass der Kunstrasen in der Box das nicht mitmacht und sich dabei aufrollt. Mmh – Mut zur Lücke. Laufen kann ich, das mach‘ ich schon seit ich denken kann.

Hyrox. Als ich das erste Mal davon hörte, wusste ich sofort, das ist mein Ding: 8 x 1km laufen im Wechsel mit 8 Workouts. Laufen und Kraft kombiniert! Das Ganze ist neu und findet in Messehallen in 8 großen Städten in Deutschland und Österreich statt.

Was alles vor mit liegt

Die Workouts werden in 8 Stationen aufgebaut, drum herum findet das Laufen statt. Je nach Größe der Messehalle ergeben 2-3 Runden Laufen genau 1 km. Es beginnt mit dem Laufen und endet mit den Wall Balls.
Also habe ich mich für den 03. November 2018 in Hamburg in der Altersklasse 45-50 angemeldet. Ich studierte die Starterliste: … da waren nicht mehr viele Mädels in meiner Altersklasse, die sich das antun wollten…. Und – man konnte sich qualifizieren für die Weltmeisterschaft Hyrox 2019 in Oberhausen. In meiner Altersklasse gab es dafür genau einen Platz zu vergeben. Ich musste das Ding also gewinnen, um daran teilnehmen zu können.

Die 8 Workouts in dieser Reihenfolge sind:
1km Ski-Ergometer
50m Sledge Push mit 125kg + 30kg Schlitten
50m Sledge Pull mit 75kg + 30 kg Schlitten
80m Burpee Broad Jump (Hock – Streck – Weitsprung mit Liegestütz)
1km Rudern
200m Farmers Kettle Bell Carry mit 2 x 24 kg
100m Lunges (Ausfallschritte) mit 20kg Sandsack auf den Schultern
100 Wall Balls mit einem 6kg Medizinball 2,70m hoch

Los ging’s…

Im Halbdunklen auf den Kinderspielplatz nebenan, um den schwarzen Sandsack von Vladimir zu befüllen. Hoffentlich sieht das keiner. Dann immer im Kreis, Knie auf den Boden – Ausfallschritte im Garagenhof. Meist auch im Halbdunkeln oder im Regen, oder beides. Die Nachbarn denken, die hat sie doch nicht mehr alle. Wall Balls üben an der Reihenhauswand. Die Richtung Norden ist gut. Die 2,70 m Höhe werden mit der Straßenmalkreide der Tochter markiert. Nur leider bewohne ich das erste Haus und alle andern „Strangbewohner“ müssen bei mir und an der Nordwand vorbei.

Da steh‘ ich dann mit diesem dicken Medizinball – und wenn man anfängt, sein Tun zu rechtfertigen, bevor man darauf überhaupt angesprochen wird, dann weiß man, man verhält sich nicht normgerecht. Und wenn drum herum die Fenster bei Wall Ball 100 aufgerissen werden und die Nachbarin sich freut, dass das regelmäßige Wummern für heute erst einmal beendet ist, dann weiß man, man wohnt in einer toleranten Gegend.

Der November rückte näher und mit ihr die Erkältungswelle. Und mich erwischte sie auch. Gerade fähig, mich aufrecht zu halten, bin ich trotzdem zum Zugucken in die Messehallen gefahren, um mir ein Bild von der Veranstaltung zu machen. 2000 Teilnehmer waren allein hier gemeldet … Und es ging rund in der Halle. Lauter freie Männeroberkörper und der Schweiß floss in Strömen. Bei mir nur die Nase. Ich war tief enttäuscht, dass ich hier nur halbtot am Rand stehen konnte! Aber: aufrichten, Krone rücken und ummelden. Zeitlich kam nur noch Nürnberg am 09.02.2019 in Frage. Angestachelt von der Veranstaltung in Hamburg und dem Niveau dort, war ich um so häufiger im Garagenhof und an der Nordwand zu finden.

…und dann kam der Tag

Vor Aufregung ganz wackelig auf den Beinen ging es zum Start. Nach dem erfolgten Startschuss geht es ja bekanntlich besser. Den ersten km Laufen – Haken dran. Ski-Ergometer – abarbeiten und beim nächsten km erholen. Ok. Dann der Schlitten. Der Feind. Zuerst schieben. Ich habe alles gegeben und die ersten 25m ohne Pause durchgeschoben. Darüber selbst überrascht, wollte ich das auf den folgenden 25m auch tun.

Leider dabei das Atmen vergessen. Hing gelähmt über der Brüstung und brauchte 2 Minuten bis ich wieder bewegungsfähig war. Ein Mädel nach dem anderen zog an mir vorbei. Beim Laufen also erstmal wieder erholen. (5 Min Schnitt) Dann den Schlitten ziehen. Hat jemand ein Fernglas?

Ich steh hier, der Schlitten am anderen Ende der Welt und dazwischen ein 25m langes faustdickes Sisal-Seil. Da vergehen gefühlte 2m bis der Schlitten den Zug vom Seil spürt. Aber die Kampfsau war geweckt und nach ca. 6 Min war das elendige Ding 50m gezogen.

Mit bleischweren Oberschenkeln zum Erholen auf die Laufstrecke. Dann Burpees. Die Hölle. 80m, dafür muss ich ca. 45 Burpees machen. Da kann man angefeuert werden wie Mat Fraser, doch irgendwann geht nix mehr. Die vorgenommene Taktik, immer nach 10 eine Pause zu machen, ging vorne und hinten nicht auf. Völlig fertig und mit Augen-zu-drücken des Judges hüpfte ich über die 80m-Linie. Danach war Gehpause… und Trinkpause… und Gehpause… und Wasser-über-Kopf-kipp-Pause.

wie es weiter geht…

Das Rudern als nächste Einheit war die reinste Erholung. Kettle Bell Farmers Carry – ich nahm mir danach vor, Griffkraft zu übern und dass es nur noch Milch und Kartoffeln gibt. Das macht die Einkaufstaschen schwerer. Lunges. Rauf mit dem Sandsack – der war durch den Vorgängerschweiß bestimmt ein Kilo schwerer. Der Judge wich nicht von meiner Seite und verfolgte jeden Kniefall auf Berührung mit dem Boden.

OK. Runter mit dem Ding, ein letztes Mal auf die Laufstrecke und dann das Abbiegen zu den Wall Balls nicht verpassen. Target suchen, Judge zunicken und los geht’s. Natürlich gab`s auch hier den Plan in 20er Paketen das Ding zu machen. Sicherlich. Nach knapp 1,5 std. genau richtig. Um es kurz zu machen, das klappte mal gar nicht. Der Ball traf das Target nicht mehr, der Judge zählte diese Würfe natürlich nicht. 8 war das Maximum an Paketgröße.

Irgendwie habe ich das dann geschafft und mich die restlichen Meter über die Ziellinie geschleppt. Was für ein Kraftakt! Aber es hatte sich gelohnt. Das Ding in der AK mit 1:30 Std gewonnen und die Fahrkarte zur WM in der Tasche.

Die fand am 06. April 2019 im „The Mirai“ in Oberhausen statt. Donnerstag und Freitag davor hatte ich extra Urlaub genommen. Ich wollte auf dem Sofa Kraft zu sammeln, Mittagsschlaf halten, Carbo laden und Starterlisten studieren… dort stand ich auf Platz 4 im Ranking. Die erste war 10 min schneller als ich. Das ist prozentual viel von ca. 90 min. und ich stellte mir die Frage, wie und wo ich 10 min rausholen soll? Ich war gefühlt komplett am Limit gewesen in Nürnberg.

Der große Tag in Oberhausen

Es gab einen Einlauf je Altersklasse mit Schilderträgern voran in die Halle. Nebel am Start. Abchecken der Gegnerinnen in meiner AK. Ich hatte mir die 3 Führenden der Rankingliste rausgepickt und wollte sie unbedingt im Auge behalten. Dann kam der Start. Ich sprintete los und wurde aber gleich von 2 en überholt. „Hinten kackt die Ente“, dachte ich mir. Nach dem Skiergometer immer noch an 3. Stelle.

Beim Laufen wurde der Abstand dann leider noch größer. Aber ich sah schon am Laufstil – das sind Läuferinnen. Können die auch Eisen? Nee, konnten sie nicht so gut – beim Schlitten schieben und ziehen hab ich Minuten rausgeholt. Bei den Burpees kamen sie mir nochmal näher, aber ab den beiden Schlitten-Workouts habe ich geführt.

Ohne Gehpause, keine Trinkpause und erst recht keine Duschpause.

Und auch bei den Wall Balls war zumindest das erste ein 20er Päckchen. Und nach 1:20 Min blieb die Uhr stehen, ich überquerte die Ziellinie und ich war Weltmeisterin. In meiner Altersklasse. Die Elite hat Imke Salander aus Hamburg in 1:08 Std. gewonnen.

Nun muss man dazu sagen, dass dort bei der WM nicht ein Asiate am Start war und auch kein Amerikaner. Das kommt erst noch. Das war ja schließlich Hyrox One und ab 2019 finden auch Events in Chicago, Miami, New York und Houston statt. The early Bird catches the worm.

Aber Weltmeisterin von Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark bin ich allemal.

So, und nun bring ich mal den Sand zurück. Aber im nächsten Herbst kommt der wieder in Vladimirs Sack. Ich muss mich ja qualifizieren für die Titelverteidigung in Berlin.